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Version vom 24. August 2017, 13:11 Uhr

Agent*In war eine Website, die sich mit Netzwerken, Organisationen und Personen, die dem Antifeminismus zugerechnet wurden (und werden), befasste. Sie wurde im Juli 2017 veröffentlicht. Das Akronym stand für Anti-Gender-Networks-Information, ein Netzwerk von nach eigenen Angaben 180 Personen, das sich „wissenschaftlich, theoretisch und aktivistisch“ mit „Antifeminismus“ beschäftigt". Ehrenamtliche Initiatoren und Mitglieder der Redaktion waren Elisabeth Tuider, Henning von Bargen und Andreas Kemper.[1] Die Website wurde vom Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung betrieben.[2] Vor allem wegen der Artikel über Einzelpersonen stieß die Plattform auf breite negative Kritik. Seit dem 4. August 2017 und damit knapp drei Wochen nach dem Start ist Agent*In nach eigenen Angaben „vorübergehend offline“.[3]

Historie

Die Website ging am 17. Juli 2017 mit rund 500 Einträgen, davon ca. 177 zu Personen, online.[3] Die Heinrich-Böll-Stiftung beschrieb Agent*In zur Veröffentlichung als „ein kritisches Online-Lexikon zu Antifeminismus“, das ein „gemeinsames Projekt des Gunda-Werner-Instituts in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von feministischen Autor*innen“ sei. Gleichzeitig mit Agent*In wurde eine zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellte Broschüre „Gender raus!“ Zwölf Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik veröffentlicht. Laut Böll-Stiftung ergänzten sich Lexikon und Broschüre gegenseitig.[4]

Anfang August 2017 wurden zahlreiche kritische Kommentare in Zeitungen und Online-Portalen veröffentlicht. Die Inhalte des Online-Lexikons sind seit dem 4. August 2017 nicht mehr aufrufbar. Ein Text informiert, dass die Seite derzeit überarbeitet und erweitert werde, um sie verständlicher und vielfältiger zu machen. Die „gewählte Form“ habe „die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Antifeminismus überlagert.“[3] Die Böll-Stiftung teilte in einer Stellungnahme am 7. August 2017 mit, das Projekt sei „in Abstimmung mit der Redaktion“ vom Netz genommen worden.[3][5]

Laut FAZ-Journalist Rainer Meyer soll es über die Versionsverwaltung des Online-Lexikons möglich gewesen sein, die Entwürfe der Artikel und die Nicknamen der Autoren einzusehen. In Summe hätte dies 7000 Einträgen entsprochen, die seit dem 15. Dezember 2015 getätigt wurden. Gemäß Meyer habe man erkennen können, dass die Mehrheit der Artikel unter dem Nicknamen „Andreas Kemper“ angelegt worden sei.[6]

Zielsetzung und Arbeitsweise

Die Website Agent*In wollte nach eigenen Angaben über Ideologien, Kampagnen, Organisationen und Personen informieren, die von den Autoren dem Antifeminismus zugerechnet wurden. Diese Personen wurden in Kategorien eingeordnet, „z.B. als maskulistisch, antifeministisch, ultrakatholisch oder rechtspopulistisch“. Es sollten Einflussnahmen auf die Politik in Deutschland aufgezeigt werden. Journalisten, Aktivisten, Multiplikatoren sowie Bildungseinrichtungen sollte die Möglichkeit eröffnet werden, mittels eigener Recherche die entsprechenden Zusammenhänge hinsichtlich der beteiligten Personen, Parteien und Organisationen zu erkennen.[7]

Die Redaktion bestand aus Henning von Bargen, Andreas Kemper und Elisabeth Tuider. Die Artikel selbst würden von einer Gruppe ehrenamtlich tätiger Autoren verfasst, die der Redaktion namentlich bekannt seien, deren Identitäten jedoch nicht bekanntgegeben wurden. Unterstützt wurden diese durch Honorarkräfte.

Agent*In basierte technisch auf der Software MediaWiki als Content-Management-System.[8]

Rezeption

Wenige Tage nach Freischaltung schlug sich die mediale Wahrnehmung der Agent*In-Webseiten in einer Vielzahl von Berichten und Kommentaren nieder. Das Angebot stieß dabei auf breite negative Kritik in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Schichten.[3]

Bernd Matthies, Redakteur des Tagesspiegel, bezeichnete in einer Glosse die Plattform als „denunziatorische Liste von Organisationen und Namen“, die sich „wie eine Art Verfassungsschutzbericht der Gender-Szene“ lese. Er bezeichnete es als ideologisch motivierten Trick, von „rechtsextremen Fanatikern über streitbare Konservative bis zu Liberalen, die lediglich die Gendertheorie für Unfug halten“, alles in den Sack „Anti-Feminismus und Gender-Kritik“ zu stecken und gleich zu prügeln: „genderkritisch gleich homophob gleich antifeministisch gleich pfui“.[9]

Henryk M. Broder beschrieb in einem Gastkommentar in Die Welt die Plattform als „Webseite, auf der ‚antifeministische‘ Personen denunziert werden“, sowie als „skurriles Dossier“ und Massendenunziation von Menschen, die lediglich andere Meinungen verträten als die Verfasser.[10]

Milena Zwerenz von ze.tt, der Onlineplattform von Die Zeit für junge Leser, bemängelte den geringen Informationsgehalt des Angebots. Das Online-Lexikon werfe mehr Fragen auf, als Antworten zu geben. Es löse „selbst bei denen, die Antifeminismus und Homophobie bekämpfen wollen, einen merkwürdigen Beigeschmack“ aus.[11]

Carolina Schwarz (Die Tageszeitung) kritisierte das Fehlen von Fakten und transparenten Arbeitsweisen. Das Projekt habe einfache Muster ihrer Gegner übernommen und es den Kritikern leicht gemacht: „solche Listen zu erstellen, ist sonst eher von Rechten bekannt“. Die Antifeminismus-Liste ziehe „den Vorwurf des ‚Online-Prangers‘ auf sich“.[12]

Das Jugendmagazin Vice bezeichnet das Projekt zwar als „unfein und undifferenziert“ aufgebaute „Bäh-Liste (...) für Menschen und Organisationen, deren kleinster gemeinsamer Nenner traditionelle Geschlechterrollen sind“, es sei aber auch eine „Plattform“ für „das Problem Anti-Feminismus“: „Vielleicht nicht auf die feinste, aber sicherlich auch nicht wirklich auf denunziatorische Art“.[13]

Laut Kathleen Hildebrand, Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, ziele Agent*In durchaus darauf ab, „dass Vertreter antifeministischer Positionen nicht mehr zufällig in den Medien zu Wort kommen, sondern möglichst erst, nachdem sich ein Journalist über sie auf agentin.org informiert“ hätte. Sie stellte auch einen Bezug zum antifeministischen Portal Wikimannia her, das ein „Hetzportal“ sei, dessen Betreiber anonym bleiben und „sich rechtlicher Verfolgung, etwa wegen Beleidigung, entziehen“. Die Autoren von Agent*in verzichteten hingegen auf hetzerische Sprache. Während die Macher ihr Werk nur als Reaktion auf eine Dynamik sehen, „mit der sich Debatten über Geschlechterfragen in den vergangenen Jahren im Internet radikalisiert haben“, könne man Agent*In auch als Teil der Dynamik betrachten.[14]

„Hier steht, wer alles doof ist,“ titelte Spiegel Online-Kolumnistin Margarete Stokowski und meinte: „Es ist nicht gut, Listen von Menschen nach politischer Gesinnung anzulegen. Siehe: Weltgeschichte.“ Ihre Schlussfolgerung: „So kämpft man nicht für Gleichberechtigung.“[15]

Thomas Assheuer (Die Zeit) erinnerte daran, dass „nach der Ermordung Hanns-Martin Schleyers im Spätsommer 1977 konservative Medien eine Hexenjagd auf linke Netzwerke und Sympathisanten eröffneten“. Damals habe auf deren Liste „der Name des Schriftstellers Heinrich Böll ganz oben“ gestanden. Böll habe schon das Auflisten von Namen als Denunziation empfunden. Man könne verstehen, so Assheuer, dass den Betreibern des Online-Lexikons der Kragen geplatzt sei „nach all dem Anti-Gender-Hass, der ihnen aus dem rechten Dunstkreis täglich entgegenquillt“. Manche, die sich nun über die grüne „Inquisition“ empörten, seien selbst begnadete Dauerdenunzianten. Dennoch sei die Liste eine Kapitulation. „Listen sind eine Spezialität der Rechten. Man muss ihnen nicht alles nachmachen.“[16]

Unter der Überschrift „Heinrich Böll würde sich für seine Stiftung schämen“ kritisierte Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, Agent*In. Seiner Meinung nach paarten „die Agent*innen" "erschreckende Humorlosigkeit mit einem stasihaften Verfolgungswahn“. Indem Journalisten wie Martenstein, Kissler und Matussek aufgelistet werden, würde die Botschaft gesendet: „Passt auf, liebe Journalist*en, was ihr schreibt. Sonst kommt ihr auf unsere Liste.“ Für junge Journalisten könne ein Eintrag wie ein Berufsverbot wirken. Iken kritisierte weiterhin das tagelange Schweigen der Böll-Stiftung zu den Vorwürfen.[17]

Michael Prüller schrieb in Die Presse zum Ende von Agent*in, dass vielleicht das Auflisten eines antifeministischen Agentennetzes zu deutlich offenbart hätte, dass die Akteure in diesem Eck von Gendertheorie und Feminismus eben doch nicht die Sozialwissenschaftler wären, die sie zu sein vorgeben, sondern eben auch nur Ideologen: Anti-Antifeministen.[18]

In einem Kommentar für die Neue Zürcher Zeitung befand Claudia Schwartz, dass das Projekt mit dem Ziel einer "persönlichen Beschädigung des politischen Gegners" eine "Grenze demokratischer Auseinandersetzung" überschritten hätte. Andererseits habe Agent*in sinnvolle öffentliche Debatten über Denunziationspraktiken im Internet angestossen.[19]

Reaktionen von Agent*In-Redaktion und Böll-Stiftung

Henning von Bargen wies gegenüber der Süddeutschen Zeitung den Vorwurf des Prangers und der Diffamierung zurück. Das Wiki würde sich an Menschen richten, die wissen wollten, „welche Gruppen und Personen antifeministische Positionen verbreiten wie die, dass die ‚Gender-Ideologie‘ Ehe und Kernfamilie abschaffen wolle. Oder dass Feminismus gleichzusetzen sei mit Männerhass“.[14] Gegenüber Neues Deutschland rechtfertigte er die vielfach kritisierte Einbeziehung von Harald Martenstein. Martenstein habe sich in der Vergangenheit abwertend gegenüber Gender-Forschung und Gender Mainstreaming positioniert. U.a. habe er Gender-Forschung als „Antiwissenschaft“ bezeichnet.[20]

Der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung entschuldigte sich jedoch in einer Stellungnahme am 7. August 2017 infolge der vorgebrachten Kritik: „Die öffentlich und intern geübte Kritik am Format der ‚Agent*In‘ hat uns deutlich gemacht, dass dieser Weg nicht geeignet ist, die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Antifeminismus zu führen. Wir bedauern sehr, dass durch die gewählte Form manche an antidemokratische Methoden erinnert werden und entschuldigen uns bei denjenigen, die sich möglicherweise persönlich verletzt fühlen.“ Man werde „Ziele und Format sowie die Zusammenarbeit mit dem Netzwerk und die Wirkung der „Agent*in“ kritisch hinterfragen, zeitnah intern beraten und die öffentliche Debatte führen“. Solange ruhe das Projekt.[21]

Einzelnachweise

  1. Christian Meier:Antifeminismus-Pranger vom Netz genommen - vorübergehend, in: DIE WELT vom 07.08.2017.
  2. "Gender raus" und "Agent*in" erschienen. Heinrich Böll Stiftung, abgerufen am 5. August 2017.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Heide Oestreich: Agent*in „vorübergehend offline“. taz, 4. August 2017, abgerufen am 4. August 2017.
  4. Heinrich Böll Stiftung (17.07.2017) "Gender raus" und "Agent*in" erschienen, online, abgerufen am 10. August 2017.
  5. Stellungnahme der Heinrich-Böll-Stiftung vom 7. August 2017.
  6.  Rainer Meyer: Das Vermächtnis der schwarzen Liste. Nr. 183, 9. August 2017, S. 13.
  7. Neu: Agent*In – ein kritisches Online-Lexikon zu Anti-Feminismus. Heinrich Böll Stiftung Gunda Werner Institut, 17. Juli 2017, abgerufen am 4. August 2017.
  8. FAQ-Seite des Internetangebotes, abgerufen am 24. Juli 2017.
  9. Bernd Matthies: Eine Art Verfassungsschutzbericht der Gender-Szene. Der Tagesspiegel, 24. Juli 2017, abgerufen am 26. Juli 2017.
  10. Henryk M. Broder: Am skurrilen Online-Pranger der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Welt, 2017, abgerufen am 26. Juli 2017.
  11. Milena Zwerenz: Neues Gender-Wiki will auf eigenartige Weise Klischees bekämpfen. ze.tt, 2017, abgerufen am 26. Juli 2017.
  12. Carolina Schwarz: Aber doch nicht so! Die Tageszeitung, 27. Juli 2017, abgerufen am 27. Juli 2017.
  13. Die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht eine Liste mit Anti-Feministen. Vice, 2017, abgerufen am 28. Juli 2017.
  14. 14,0 14,1  Kathleen Hildebrand: „Pranger“ oder Alltag im Geschlechterkampf?. In: sueddeutsche.de. 28. Juli 2017, ISSN 0174-4917 (http://www.sueddeutsche.de/medien/feminismus-debatte-lexikon-der-anti-feministen-1.3605048).
  15. Margarete Stokowski: Antifeminismus-Lexikon der Böll-Stiftung: Hier steht, wer alles doof ist. In: Spiegel Online. Abgerufen am 1. August 2017.
  16. Thomas Assheuer: Geistige Mülltrennung, aus der ZEIT Nr. 32/2017, online 2. August 2017
  17. Matthias Iken: Heinrich Böll würde sich für seine Stiftung schämen. Hamburger Abendblatt, 2017, abgerufen am 5. August 2017.
  18. Michael Prüller: Pfui und Doof. In: Die Presse. 12. August 2017, abgerufen am 14. August 2017.
  19. Claudia Schwartz: Die verlorene Ehre der Böll-Stiftung. In: Neue Zürcher Zeitung. Abgerufen am 15. August 2017.
  20. Samuela Nickel: Antifeminismus verbindet - vor allem Rechte und Konservative: Das Lexikon »Agent*In« informiert über die Verstrickungen unter Abtreibungsgegnern, Nationalisten und religiösen Fundamentalisten. In: Neues Deutschland. 29. Juli 2017, abgerufen am 7. August 2017.
  21. Stellungnahme der Heinrich-Böll-Stiftung vom 7. August 2017.

Weblinks